18.01.2012

04 Eine Frage der Ehre (komplett)


»Krieg«, sagte Robert Schmähling. »Bei uns herrscht Krieg!« Ferry Lux fiel es schwer, das zu glauben. Immerhin stand auf Schmählings Visitenkarte, dass er Fondsmanager bei der Inter-Invest war.
Ferry hob eine Augenbraue. »Krieg?«
»Ja«, sagte Schmähling. »Max Dauber gegen alle! Er managt den TOPRISC-Fonds. Riskante Aktien. Schon allein nach dem Gesetzen der Wahrscheinlichkeit müsste er bei rund 30 Prozent seiner Anlagen Verluste einfahren. Aber Dauber macht nur Gewinne. Finden Sie heraus, wieso!«
* * *
»Krieg?«, fragte Rosa, gelernte Zirkus-Taschendiebin und durch Zufall bei der Agentur Lux gelandet. »Wieso Krieg?«
»Die Fonds-Manager bekommen Erfolgsprämien!«, sagte Ferry. »Und die kassiert unser Max im Glück wegen seiner Erfolge fast allein!««
Winnie schüttelte den Kopf. »Daubers Erfolge können nicht einfach nur Glück sein.« Aktien- und Fondscharts flimmerten über seinen Computerschirm. »Ich habe mir seine Aktienkäufe und Verkäufe für den TOPRISC-Fonds angesehen. Er scheint immer vorher zu wissen, wann eine Aktiengesellschaft Gewinne macht und wann Verluste. Das ist kann kein Glück sein. Und Zufall schon gar nicht!«
* * *
Obwohl Max Dauber Millionär war, lebte er in einem unauffälligen Zweifamilienhaus am Stadtrand. Nach drei Tagen Beschattung kannten Rosa und Ferry seinen Tagesablauf auswendig. Jetzt war Samstag, Dauber wuselte schon seit Mittag im Garten herum. Ferry gähnt. Rosa seufzte. Die Terrassentür ging auf und ein Mann in Daubers Alter rollte im Rollstuhl heraus.
»Sein Bruder«, sagte Rosa. »Uwe Dauber. Querschnittslähmung nach einem Motorradunfall.«
Ferry sah sie erstaunt an.
Rosa grinste. »Ich hab mich gestern mit den alten Leutchen aus dem Nachbarhaus angefreundet!«
Uwe Dauber hatte einen Laptop auf den Knien und tippte konzentriert. Eine halbe Stunde später hatte Max Dauber seine Geranien eingepflanzt. Auf dem Weg ins Haus kam er bei seinem Bruder vorbei. Uwe zog einen USB-Stick vom Laptop ab und gab ihn Max.
»Das wäre doch...«, sagte Ferry.
»...ein Job für mich, verstehe!«, sagte Rosa.
* * *
Rosa war mit ihrer Taschendieb-Nummer bei einem Zirkus gewesen, bis der hatte aufgeben müssen. Dass sie ihre Fähigkeiten jetzt bei der Agentur LUX einsetzte, verdankte sie einer zufälligen Begegnung mit Ferry. Als Rosa am Montag mit Max Dauber durch die gläserne Drehtür der Inter-Invest-Zentrale drängte, war Dauber von der attraktiven Rothaarigen entzückt, die so charmant seine Nähe suchte. Im Foyer der Inter-Invest schmökerte Winnie im Wartebereich in einem TOPRISC-Prospekt. Rosa ließ sich neben ihn auf die Ledercouch fallen und gab ihm den USB-Stick, den sie aus Daubers Tasche gezogen hatte. Winnie schob ihn in den Laptop in seinem Aktenköfferchen. Zwei Minute später hatte er die Daten vom Stick kopiert und Rosa brachte ihn mit einem unschuldigen Lächeln zum Pförtner an seinem Empfangstresen: »Die hat der Herr eben verloren, der mit mir hereinkam.«
* * *
»Krieg!«, meinte Winnie am Abend in der Agentur. Er rief die Dateien von Daubers Stick auf. »Datenkrieg, um genauer zu sein. Das sind allesamt vertrauliche Unternehmensdaten von Firmen, deren Aktien Max Dauber für seinen Fonds kaufen will oder von Firmen, deren Aktien er hält. Diese Daten stammen direkt aus den Rechnern dieser Firmen und sind streng geheim. Kein Wunder, dass Dauber immer nur Erfolge erzielt.«
Rosa nagte an ihrer Unterlippe. »Sein Bruder scheint ihm die Daten zu besorgen. Aber wie?«
»Uwe Dauber«, murmelte Winnie. »Irgendwie kommt der mir bekannt vor...«
* * *
»Krieg!«, sagte Winnie, als die Biker der RED DEVILS vom Hof ihres Klubhauses röhrten. »Auf den Straßen herrscht Krieg zwischen Motorrädern und Autos, nicht wahr?«
Uwe Dauber stand mit seinem Rollstuhl auf dem Parkplatz vorm Klubhaus. In seinem Holzfällerhemd und mit seinem Pferdeschwanz passte Winnie in die Szenerie,.
»Ich schaue am Wochenende gern bei den alten Kumpels hier vorbei«, sagte Uwe Dauber. Sein Blick war wach. »Was willst du?«
»Du warst früher System-Operator in einem Rechenzentrum«, sagte Winnie. »Ein Top-IT-Mann. Erinnerst du ich an einen Hacker namens WIN, der sich an deinen Sicherheitsvorkehrungen die Zähne ausgebissen hat?«
Daubers lächelte erstaunt. »Du?«
Winnie nickte. »Ich dachte, wir sollten uns mal kennen lernen. Du bist immer noch der beste IT-Mann. Dein Schnüffelprogramm, mit dem du für deinen Bruder diese Daten aus den Firmenrechnern stiehlst - Spitzenklasse! Ich habe die ganze Woche gebraucht, bis deine Datenspione entdeckt habe.«
Dauber wurde ernst. »Was willst du?«
Winnie blinzelte in die Sonne. »Falsch, Uwe. Was willst DU? Warum spionierst du für deinen Bruder diese Firmen aus? Geht es um Geld?«
Uwe Dauber zögerte. Dann meinte er: »Durch meinen Unfall habe ich meinen Job verloren. Ich hab zuhause herumgesessen, hatte nichts zu tun. Als Max meinte, er könnte seinen Job viel besser machen, wenn er gewisse Informationen hätte...«
»...hast ein bisschen was gebastelt.«
»Es war eine Aufgabe«, murmelte Uwe.
Winnie sah ihn an. »Du hast zwei Möglichkeiten, Uwe: entweder du hörst damit auf oder ihr habt die Polizei im Haus.«
Uwe schluckte. Dann nickte er. »Okay.« Und nach einer Weile: »Danke für die Warnung!«
Winnie lächelte zufrieden. »Ich habe damals viel von dir gelernt, als ich in dein System reinzukommen versuchte. Ich denke, ich war dir was schuldig.« Er stand auf. »War schön, dich mal IRL zu treffen«.«
***
Ferry wartete in seinem Cabrio am Straßenrand. Winnie stieg ein. »Alles klar. Er hört auf.«
Ferry runzelte die Stirn. »Hacker-Ehre hin oder her«, sagte er. »Bist du sicher?«
Winnie grinste. »Ich habe damals bei unserem kleinen Privatkrieg viel über Hackerabwehr gelernt«, sagte er. »Und seit gestern ist MEIN Programm im Netz und legt Uwes Spionageprogramme lahm, wo immer es sie trifft.«
Ferry seufzte. »Dann ist der Krieg also noch nicht vorbei.«
»Doch«, sagte Winnie. »Ich denke schon.«


Ende
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